Neben den Zinnsoldaten ein kleines Kind im Schatten. Ein kurzer Blick, ein Wimpernschlag nur und es ist verschwunden. In der Ferne aufsteigender Rauch, zurückgehalten nur durch den beginnenden Regen. Er irrt durch das Labyrinth aus Schützengräben, Leichenbergen und Panzerwracks, läuft blindlings durch den Matsch, immer gerade noch schnell genug, um nicht von der kommenden Salve getroffen zu werden. So tastet er sich vor, zuckt immer wieder zusammen, verliert die Orientierung. Er muss seine Frau finden, zurück zu seinem Kind. Ein aufkommendes Brummen und ein Blick zum Himmel reichen, damit er sich in den Matsch fallen lässt. Sie schießen und treffen alles, was sich bewegt, während er daliegt und tut, als sei er schon tot. Auf dem Bauch, ganz platt, die Augen geschlossen, das Gesicht schmerzverzerrt, aber ohne jede Rührung. Eine Ewigkeit lang betet und wartet und hofft er darauf, dass es endet.
Und als es dann endet, rappelt er sich auf und läuft weiter. Die Stille scheint plötzlich nach allem zu greifen, jedes Geräusch aufzusaugen. Die Wolken hängen schwer und regungslos, der Regen hat aufgehört. Keine Schüsse, keine Rufe, kein Schreien. Er lässt das Schlachtfeld hinter sich, schaut sich um und findet sich in einem dicht bewachsenen Nadelwald wieder. In der Ferne der Ruf seiner Frau. Nach kurzer Erleichterung wächst eine neue Panik in ihm. Warum schreit sein Kind nicht? Der mit Moos bedeckte Waldboden schimmert grün, fast unwirklich in der grauen Umgebung. Er stolpert weiter, rutscht auf dem nassen Moos und den Wurzeln der Bäume immer wieder aus. Nähert er sich ihrer Stimme? Er kann kaum verstehen, was sie ruft. Als er versucht, ihr zu antworten, muss er sich übergeben. Es gibt kein Bitten und kein Beten mehr, keine Götter und keine Götzen. Einfach nur weiterlaufen, ohne Gedanken, einem unbekannten Ziel hinterher. Plötzlich dann zwischen den Tannen ein geblümtes Kleid. Ihr Kleid. Er bleibt stehen, sieht sie durch den Wald tanzen, als gäbe es weit und breit nichts Böses in der Welt, als sei der Tod nur ein Märchen, das man sich nachts am Lagerfeuer erzählt. Auf dem Arm wiegt sie ein Neugeborenes. Lachend und tanzend erfüllt ihre Anwesenheit die gesamte Umgebung. Aber wo bleibt das Schreien seines Kindes? Wieso schreit es nicht?
Er stolpert auf sie zu, will sie umarmen, da zerschneiden Schüsse die Luft. Bevor er versteht, was geschieht, tränkt sich ihr Kleid rot. Sie stürzt auf Wurzeln und Moos, das Kind noch fest umklammert.
Kurz darauf, als auch er von den Schüssen getroffen wird, und Schmerz und Angst und Wut ihn durchfluten, wacht er auf, schaut in die warmen Augen seiner Frau. Sie liegen im Bett, sein Sohn schläft in der Wiege neben ihnen, nuckelt am Daumen. Trotz der Dunkelheit kann er erkennen, wie sich der kleine Brustkorb unter gleichmäßigen Atemzügen hebt und senkt. Da merkt er, dass er die Luft anhält, und atmet zügig aus. Auf einem Stuhl neben ihrem Kleiderschrank die tarnfarbene Uniform. Er nimmt seine Frau in den Arm, drückt sie fest an sich. „Ist alles in Ordnung? Deine Hände zittern.“ Er nickt. „Ich habe nur schlecht geträumt, schlaf ruhig weiter. Es ist alles in Ordnung.“
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