Kurzgeschichten

Du. Immer. (2021)

Du nervst. Du nervst mich einfach abgrundtief. Es nervt, wie du trödelst, wenn wir im Stress sind, wie du an fast jeder Ecke stehen bleibst und die Tauben und die Menschen ansiehst als wären sie Kunstobjekte. Dein Gesang am Morgen ist schrecklich, die reinste Folter, und die wäre es für jeden Kaffeetrinker in der Früh. Vor dem ersten Kaffee. Danach wäre das ja schon schlimm genug.

Mich nervt dein gekünsteltes Lachen, wenn wir uns wieder mit irgendwem verabredet haben und die Leute dumm reden. Und warum zum Teufel müssen wir jede Woche, wirklich jede verdammte Woche um die selbe Uhrzeit in den selben Laden gehen, um dort dieselben Lebensmittel einzukaufen? Jede. Woche.

Und es nervt mich, dass deine Haare langsam grau werden und meine es schon sind. Hätte man mir das damals gesagt, wo wir heute stehen würden, ich hätte es nicht für möglich gehalten.

Es nervt, dass du abends immer ein Glas Rotwein trinken musst, dass du nie still bist, wenn die Nachrichten im Radio laufen, und dass du meine halbfertigen Sudokus immer in den Müll schmeißt. Mich nervt, dass du nie jemanden besuchen fahren möchtest, aber wenn wir dann irgendwo sind, immer noch länger bleiben willst, bis wir völlig übermüdet ins Bett fallen. Und wenn ich sehe, wie du Kiwis schälst, statt sie wie jeder normale Mensch einfach zu löffeln, dann könnte ich umkommen vor Gram. Hätte man mir damals gesagt, wo das hinführen würde…

Ich hätte dich sofort vor den Traualtar gestellt, deine Hand genommen und sie nie wieder losgelassen. Ich hätte keine Sekunde gezögert. Und auf der Geburtstagsfeier damals – bei Jessi, wo wir uns kennengelernt haben, weißt du noch? – hätte ich nie so lange damit gewartet, dich anzusprechen, ich hätte dir ewig lange Briefe geschrieben und Blumen mitgebracht und ich hätte niemals so früh aufgegeben, um dich zu werben.

Heute ist es unvorstellbar, dass du dich trotz allem, was ich falsch gemacht habe, für uns entschieden hast. Ich bin dankbar, dass du mich nicht aufgegeben hast, dass du mich angenommen hast, wie ich bin, mich nicht ändern wolltest, meine Launen aushälst und immer noch da bist. Hättest du dich damals für Gert und nicht für mich entschieden, mein Herz wäre mir zersprungen.

Und es nervt mich, dass du dich in den Schlaf weinen musst, wenn wir gestritten haben, dass du oft dasitzt und ich nicht weiß, was in dir vorgeht. Es nervt, dass es eben nicht reicht, dich einfach zu umarmen, zu küssen und zu sagen, dass alles gut wird, damit es wieder gut wird, damit ich dich wieder glücklich sehen kann. Es nervt, dass ich nicht alles für dich sein kann. Dass ich dich nicht vor allem beschützen kann.

Ich liebe dich. Ich liebe die Zeit, die wir miteinander verbringen. Ich liebe deine nervigen Angewohnheiten, und ich liebe es, dass genau die es sind, die dich so unglaublich wunderbar machen. Und das werde ich fürchte ich immer.

Manchmal sehe ich dich an und frage mich, warum ein Depp wie ich einen so bezaubernden Menschen wie dich überhaupt kennenlernen durfte.

©Urheberrecht. Alle Rechte vorbehalten.

Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen

Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte überprüfen Sie die Details in der Datenschutzerklärung und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.