Kurzgeschichten

Mylady (2021)

Ja, ich weiß, es klingt irrational und bescheuert, aber so ist es einfach mit ihr, weißt du? Plötzlich gefrierst du mitten in der Bewegung. Du spürst ihr Kommen. Gerade dann, wenn du nicht mehr an sie denkst, wenn du glaubst, sie sei dieses Mal vielleicht für immer gegangen, dann weißt du plötzlich, dass sie auf dem Weg zu dir ist. Du hörst ihr Kommen, versuchst kein Geräusch zu machen. Du hältst den Atem an und verfluchst dein Herz, weil es so laut schlägt. Und so schnell. Erst hoffst du noch, hoffst, dass es dieses Mal anders wird, dass du dich dieses Mal zusammenreißen kannst. Du hoffst es blind, denn eigentlich weißt du längst: Es ist unmöglich, ihr zu entkommen, du bist ihr verfallen. Wenn sie kommt, stellen sich dir alle Haare auf, immer ihr entgegen. Natürlich könntest du dich wehren, aber du tust es nicht. Sich gegen sie zu wenden bringst du nicht fertig. Und dein ganzer Körper weiß, dass sie kommen wird. Ratlos siehst du dabei zu, wie du versagst, verstehst nicht, warum sie gerade dich ausgesucht hat, warum sie immer wieder zu dir zurückkehrt.

Es wird dir warm, wenn du an sie denkst. Heiß wird es. Du verfluchst dich dafür, so oft an sie zu denken, verfluchst sie dafür, immer wieder zu dir zurückzukehren. Es wirft dich zurück, wenn sie in deiner Nähe ist, es reißt dich zurück in das Loch, das du seit Jahren verlassen möchtest. Verstehst du?

Und dann stehst du da und wartest. Du kannst nicht mehr atmen, selbst, wenn du es wolltest. Und dir werden die Beine taub und fangen an zu zittern, die Hände ballen sich in deinen Taschen zu Fäusten. Du kannst nur in milchigen Mustern sehen, ein Tränenschleier liegt auf deinen Augen. Und es wird schlimmer, je näher sie dir kommt. Du kannst nur warten.

Und erst, wenn es dir dann plötzlich kalt wird, so kalt, dass selbst dein Herz zittert, erst dann weißt du, dass sie da ist. Du spürst ihren Atem in deinem Nacken, spürst, wie sie dich mit kalten Händen begrüßt. Wie ihre Finger über deine Haut fahren und sie ihre Krallen in dich schlägt. Du zuckst nicht einmal zusammen. Lass dich einfach fallen. Alles an ihr kommt dir so vertraut vor. Du schließt die Augen, bleibst regungslos stehen, ihre Lippen berühren deine Ohren, ganz leicht nur, dann fährt sie mit ihrer Zunge über dein Ohrläppchen. Deine Adern verwandeln sich in eine Zündschnur. Sie umarmt dich, hält dich fest umschlungen. Und dir wird schlecht. Du spürst sie überall, spürst, wie ihre Zunge immer tiefer in deinen Gehörgang dringt. Findest überall Schmerzen, aber nirgendwo Halt. Als sie sich in dich eindringt, reißt du die Augen auf. Sie windet sich durch dein Innerstes, breitet sich in deinem Körper aus wie ein unvermittelt aufkommender Nebel. Jemand lacht. Du aber kannst nicht mehr denken. Du spürst deinen Körper nicht mehr. Und dann lässt du dich fallen. Entfernt hörst du vielleicht noch ein Poltern, aber du kannst dich nicht bewegen, dein Atem will dich verlassen, das Herz, die kleine Made, will sich einfach zusammenziehen und langsam sterben. Bewegungen bleiben ungeordnet und von irgendwoher fließen Tränen. Der Rest der Welt ist nicht mehr wichtig. Sie ist wieder bei dir. Sie füllt dich aus. Es gibt nichts mehr außer ihr.

Ich habe dich vermisst, Mylady. Willkommen zurück, Angst.

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